Deutschland.
Ein Wintermärchen.
– nach Heinrich Heine –
Ein transkultureller Roadtrip durch die neue Heimat
Mit
Ava Azadeh
Atena Bijad
Amy Tawfik Frega
Mortaza Husseini
Nawar Khadra
Rami Lazkani
Ulrich Linberg
Višnja Malešić
Prudence Mvemba Tsomo
Altan Ali Yilmaz
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Konzept und Regie
projekt-il
(Bianca Künzel, Alexander Steindorf)
Bühne und Kostüm
Ria Papadopoulou
Musik
Matts Johan Leenders
Konzept und Dramaturgie
Dorle Trachternach
Video
Joris Schwarz
Licht
Michael Röther,
Thomas Wildhagen
Heinrich Heine gilt als einer der berühmtesten Migranten Deutschlands. Von Zensur und Anfeindungen seiner Zeitgenossen vertrieben, lebt er 13 Jahre in Paris, bevor ihn die Sehnsucht nach dem Vaterland zurück über die Grenze treibt. Im Winter 1844 reist er mit gemischten Gefühlen durch seine alte Heimat. In Köln führt er ein Zwiegespräch mit dem Rhein, im Teutoburger Wald heult er mit den Wölfen, in Hamburg verspeist er eine Gans mit seiner Mutter, die ihm beim Essen ständig die falschen Fragen stellt.
… Die deutsche Seele hat am Anfang nur ein Zimmer mit elf Quadratmetern, aber sie ist sich sicher, am richtigen Ort zu sein. …
Über 150 Jahre später begeben sich heutige Expert*innen in Sachen Heimatlosigkeit, Exilant*innen und Migrant*innen aus acht verschiedenen Herkunftsländern, auf die Reise durch Heines Gedankenräume. Sie entdecken dabei ungeahnte Sichtweisen auf Deutschland und Heines Vision eines Europas, das Nationalismus und Engstirnigkeit zu überwinden sucht. Sie begegnen der bissigen Ironie Heines mit spielerischem Witz und gewinnen dem Blick auf die „Heimat“ neue Perspektiven ab. !Deutschland. Ein Wintermärchen ist ein Abend über den Sehnsuchtsort „Vaterland“, Rostbratwürste und die Ankunft in Deutschland in einer längst vergangenen Zeit, als die Deutschen mit Blumen an ihren Grenzen standen.
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Pressestimmen
Rheinische Post, 7.11.2018
„Deutschland. Ein Wintermärchen“ ist ein beeindruckender, berührender Abend – und ein neues Glanzlicht der Bürgerbühne. Zehn zumeist junge Menschen aus acht Herkunftsländern haben sich dafür zusammengefunden: Geflüchtete, Exilanten, Kinder von Migranten. Manche sind hier geboren, andere erst seit wenigen Jahren im Land. Heine, der berühmteste Migrant Düsseldorfs, ist ihnen Verbündeter und Weggefährte in diesem Stück, das Bianca Künzel und Alexander Steindorf konzipiert und inszeniert haben. […] Dem frischen, spielfreudigen Ensemble zuzuschauen, ist eine Wonne.
Die Uraufführung von „Deutschland. Ein Wintermärchen“ hatte am 5. November 2018 an der Bürgerbühne des Düsseldorfer Schauspielhauses Premiere. Auf Grund der Corona-Pandemie wurden ab März 2020 alle weiteren Vorstellungen ausgesetzt.
Ein Projekt der Bürgerbühne am Düsseldorfer Schauspielhaus in Kooperation mit der Hedwig und Robert Samuel Stiftung und dem zakk – Zentrum für Aktion und Kommunikation. Gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW und der LAG Soziokultur
Im traurigen Monat November war’s,
die Tage wurden trüber,
der Wind riss von den Bäumen das Laub,
da reist ich nach Deutschland hinüber.
Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.
دم مرز، تپش هولناک قلب در سینه من و چشمان خیسم
وَعِنْدَمَا وَصَلْتُ إِلَى الحُدُودِ
شَعَرَتْ هُنَاكَ بِضَرْبَةٍ قَوِيَّةٍ فِي صَدْرِي.
أَعْتَقِدُ أَنَّ العُيُونَ أَيْضًا بَدَأْتْ تَذْرِفُ الدُّمُوعَ.
Die deutsche Seele hat am Anfang nur ein Zimmer mit elf Quadratmetern, aber sie ist sich sicher, am richtigen Ort zu sein. Die deutsche Seele hat niemanden und nichts. Keinen Vater und keine Mutter und keinen Bruder und keine Schwester und keinen Freund und keine Frau. Die deutsche Seele ist frei. Sie vermisst nichts und niemanden. Aber sie findet den Weg nicht mehr.
Die deutsche Seele ist heute Morgen früh aufgewacht. Sie hat sich über den Gesang der Vögel gefreut. Und der Gesang der Vögel tut ihr gut. Die deutsche Seele ist eine Mutter. Sie zieht zwei Söhne alleine groß. Sie fragt sich, wie sie es schaffen soll durch die Welt zu kommen, allein. Als Frau. Sie ist ja immer noch ich, die deutsche Seele, eine Mutter, aber auch eine Frau.
Wenn draußen in der Welt etwas passiert, hört die deutsche Seele auf, über sich selbst nachzudenken. Wenn in der Welt nichts passiert, grübelt sie über sich selbst. In ihrem Inneren prallen Welten aufeinander. Manchmal fühlt sie sich arm, an anderen Tagen reich. Ist genug für alle da? Wie viel ist „genug für alle“? Die deutsche Seele zweifelt. Sie schafft es nicht, für alle da zu sein. Sie liebt das Chaos nicht. Sie sehnt sich nach Körperkontakt. Sie ist nicht perfekt. Aber sie bemüht sich. Dann passiert draußen in der Welt etwas. Und sie hört auf, sie selbst zu sein.
Es war dunkelblau. Draußen der Himmel war dunkelblau, mit ein paar Wolken drin. So wie wenn es Nacht ist, aber noch nicht ganz dunkel. Und als ich über die Grenze kam, habe ich zum ersten Mal gespürt, dass Menschen, die eine andere Sprache sprechen, eine andere Kultur haben, eine andere Identität haben, sich um mich kümmern. Ich zog eine Jacke an. Ich trug eine Jacke, als ich über die deutsche Grenze kam. Eine grüne Jacke mit Adidasstreifen. Als ich an die Grenze kam, standen dort am Bahnhof Menschen, viele Menschen. Frauen, Kinder, Männer, sie hatten Blumen in der Hand und Kerzen, und sie applaudierten. Mir, uns. Der ganzen Gruppe, die ankam. Und als ich die deutsche Sprache vernahm, da ward mir seltsam zumute. Es war, als ob das Herze mir recht angenehm verblute. Ich habe nichts gedacht, nur gefühlt. Mein großer Bruder sagte, zieh dir eine Jacke an, wenn du nach Deutschland kommst. Es war dunkelblau und es war kalt. Ich fühlte ein Klopfen in meiner Brust. Diese Menschen klatschten und sagten: „Wir sind sehr glücklich, dass ihr auf dem Meer nicht gestorben seid.“ So reiste ich nach Deutschland hinüber. Der blaue Himmel und die Dunkelheit und der Regen. An mehr erinnere ich mich nicht. Es war der 5. November 2015.
Ich habe mal eine Frau kennen gelernt, die hatte keine Wahl. Es war in meinem zweiten Jahr in Deutschland. Ich bin mit dem Zug nach Hamburg gefahren. Eine Frau fragte mich, ob der Platz neben mir noch frei ist. Sie war sehr alt und redete viel. Als wir den Bahnhof in Hannover verließen, erzählte sie mir, wie sie schon einmal von Dresden nach Hamburg gefahren ist. Mit ihrem Baby, was gerade ein paar Tage alt war. In einem sehr kalten Winter 1945. Die alte Frau erzählte, dass der ganze Bahnhof in Dresden voller Menschen war, die fliehen wollten. Sie saß im Bahnhof in Dresden und gab ihrem Baby die Brust. Es war kalt. Eine andere Frau ohne Mütze und Schal fragte, ob sie ihrem Kind auch die Brust geben würde. Es hätte zwei Tage nicht gegessen. Die Frau überlegte. Ein Gedanke, noch ein Gedanke, noch ein anderer Gedanke, Gedanken, Gedanken, Gedanken. Und dann sagte sie: „Nein. Ich kann nicht! Es tut mir leid, aber ich habe nur genug Milch für mein Kind.“ Als sie später in Hamburg ankam, sah sie die Frau ohne Mütze und Schal mit ihrem toten Kind auf dem Arm.
Ich war 35 Jahre alt. Ich dachte, dass Syrien bleibt, wie es ist. Zu dieser Zeit habe ich viel über Mut nachgedacht. Und dann bin ich nach Deutschland gekommen. Das hat mein Denken für immer verändert. Früher habe ich gedacht, dass die Welt eine Wahrheit hat. Aber hier habe ich bemerkt, es kommt ganz auf den Blickwinkel an. Ich dachte, es gäbe nur Schwarz und Weiß. Und jetzt gibt es plötzlich ein Grau. Für mich ist das ein anderer Teil dieser anderen Wahrheit, die ich bis heute nicht verstehe. Aus meiner Sicht denken die Menschen für die Familie, für kleine Gruppen. Also Deutschland ist für die Deutschen und Frankreich ist für die Franzosen. So denken die Menschen. Das ist normal. Das verstehe ich. Und, als ich über die Grenze kam, gab es plötzlich die anderen, die die sagten, wir können alle zusammenleben. Ihr könnt hier auch ein schönes Leben haben. Für mich ist das seltsam. Was die Menschen dort in angeblich Chemnitz denken, das ist für mich normal. Wieso sollte jemand wie ich, der aus einem anderen Land kommt, dort genauso Zuhause sein? Aber es gibt Menschen, die genau das denken. Dass die Welt für alle ist. Es ist nicht normal, das zu denken. Und wenn jemand das denkt, dann ist er etwas Besonderes.
„Mmmhhh, Kann man drüber streiten. Also über Heine. Gut, aber nicht einfach. Da blicken selbst die Deutschen nicht durch.”
„Wenn Du sagst: „Deutschland. Ein Wintermärchen“ – Ja, kenn ich: „Denk ich an Deutschland in der Nacht … Nee, kennste eben nicht. Da frag ich mich, wer das mehr braucht!”
„ … ich eiere einfach immer rum: erst Flüchtlinge – jetzt Geflüchtete, Menschen mit Fluchterfahrung, Migranten – klingt abwertend – erst multi-, dann inter- jetzt transkulturell …. Jaja, die lieben Deutschen – aber die meisten geben sich Mühe.”
„Mama, hallo. Wie geht es dir? Ich hatte einen Termin beim Amt. Ich kann dir ein Visum für zwei Wochen schicken. Damit kannst du mich endlich besuchen. Mama, ich bin glücklich. Leider habe ich nur ein Visum für dich bekommen. Mein Bruder kann nicht mitkommen, aber er kann ja bei Papa bleiben.”
„Ich glaube, es gibt schon gute Volkslieder. Also alte deutsche Lieder. Ich meine eher diese konstruierte blonde deutsche Seele, in ihrer heilen Welt – immer einen sauberen Schlüpfer an. Und wehe jemand macht Dreck, dann brennt die Bude.”
„Stimmt. Jetzt, wo du es sagst. Es war das ABSOLUTE Jetzt-bin-ich-Zuhause-Gefühl. Das Zuhause meiner Kindheit. Ich habe mich gefragt: Wie fühlt sich diese Fahne eigentlich an? Und als ich an die Grenze kam, schien sie größer und breiter zu sein als alle anderen Fahnen die ich jemals an anderen Grenzen gesehen habe.”
„Wenn ich morgen zurückgehe, dann gehe ich in die Wüste. Weil, da bin ich einfach frei. Sie ist einfach da, die Freiheit. leise und ruhig. Es gibt nichts. Dort bin ich klar, wie weißes Papier, ganz klar.”
„Wenn ich morgen zurückginge, hätte ich immer Sehnsucht nach Deutschland.”